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ABO IASCHAGHASCHWILI

ROYAL MARY

Ein Mord in Tiflis

Aus dem Georgischen von

Lia Wittek

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„Erst wenn alle tot sind,
endet das große Spiel.“

Rudyard Kipling

Inhalt

Feldmann, ein Hypnotiseur

Der Pferdestall in der Sanduferstraße

Janitschars Ende

Die Kaffeebuden vom Schaitan Basar

Das Geheimnis von Alexanderdorf

Zirkus Thompson

Ein Afghane in Tiflis

Karagöz-Theater

Was Mahbub Ali nicht verstanden hat

The Great Game

Die Ethnografen

Colombina

Indische Verteidigung

Tifliser „Tagwpischigi“

Der Schah kommt nicht immer als Zerstörer

Der Schah in Tiflis

Das Theater des Ingenieursgarten

Richard III.

Die Steigung an der Winzerstraße

Anmerkungen

Feldmann, ein Hypnotiseur

Die Pferdebahn mit ihrer Nummer vorweg zog voran zum Woronzow-Denkmal, und die Insassen schauten auf die Straße, auf den Trubel dort, den Handel, auf das Durchtriebene, Gerissene, auf all die, die sich da gegenseitig auf die Füße traten, auf den Schwindel mit Maß und Gewicht, das geheuchelte Lächeln der Verkäufer, auf die Laufburschen, die an den Ohren gezogen wurden.

Tabak qualmte, jemand spuckte aus, jemand hustete, jemand biss in einen Apfel, die feuchten Hände wurden an fremden Hosen abgewischt, und der Wagen zog weiter.

Ein Kondukteur – mit einer Binde um den Kopf wegen seines Backenzahns – kontrollierte im Wagen die bunten, zerknautschten Fahrkarten, und, weil man in Tiflis alle diese Fahrkarten an recht seltsamen Orten und in tiefsten Tiefen versteckt, braucht man ziemlich viel Zeit, um sie zu finden, die Jackentaschen umzukrempeln oder das aus den löchrigen Hosentaschen verlorene Billett irgendwo unten an der Ferse suchen.

– Nun schluck mal keine Fliege, – schubste der Kondukteur einen pennenden Fahrgast an, und der begann, in seinen Taschen zu kramen.

– Und du? – nahm er sich den Nächsten vor.

– Is was?

– Deine Fahrkarte!

– Na, komm schon, wir sind doch ruckzuck da, – versuchte der den Kondukteur abzuwimmeln, er hatte eine Warze auf der Wange und pulte sich mit einem Streichholz am Zahn rum.

– Bist du hier im Laden von deim Gevatter oder was?

– Ist ja gut, ich kaufe ja ein Billett, ich kauf’s, bin doch gerade erst eingestiegen, – und guckte aber sonst wohin.

– Wie lange soll ich noch auf dich warten?

– He, was hängst du dich überhaupt so an mich ran? – er wandte den Rücken ab und spitzte die Ohren, irgendwo hinten im Waggon wurde es interessant.

– Das Pferd sollte dem Schah geschenkt werden, dem Berg aber tat es leid darum, und, haste nicht gesehen! schlich er sich mit dem Ross aus dem Stall, – erzählte dort ein Fahrgast mit einer Kappe irgendeine Geschichte und warf den Apfelgriebsch den Hunden zu, die dem Wagen folgten.

– Wie, er schlich sich mit dem Pferd davon?! – fragte ein anderer, der einen Käfig mit Hühnern hielt.

– Wüsste ich wie, hätt ich einen Sitz im Kreisgerichtshof! – tat der Apfelfreund kund und suchte nun nach der Birne in seiner Tasche.

– Das ist doch keine Dattel, so ein Pferd, die man sich in die Jackentasche steckt, so ein Pferd muss man doch auf der Straße fortschaffen, – sinnierte der Käfigbesitzer.

– Geht das vielleicht mit Hypnose? – mischte sich nun der mit der Warze ein und entkam dem Kondukteur noch einmal.

– Wassen für’ne Hypnose? – guckte der Birnenbeißer über die Birne hinweg.

– Na, die von Feldmann!

– Was die sich nicht alles ausdenken, – biss der mit der Kappe verächtlich von seiner Birne ab.

– Hast du das nicht gesehen, im Deutschen Garten, was der da anstellt?

– Im Garten?

– Die bilden sich was ein, so, wie wenn sie in einem Schiff sitzen und sinken und ertrinken, und dann baden sie im Schweiß, – erzählt der Schwarzfahrer weiter.

– Das heißt Somnambulismus, – stieg nun ein junger Mann in das Gespräch ein und drehte dabei an seinem obersten Knopf.

– Ja, aber wie denn? – fragte der Käfigträger.

– Das Journal „Rebus“ beschreibt, wie man in Trance gerät und ringsum alles anders erscheint, – erzählte der junge Mann schüchtern weiter und wurde feuerrot und senkte den Kopf.

– Er betäubte alle auf der Straße, und dann war es nicht schwer, das Pferd wegzubringen, – fuhr der, der immer noch keine Fahrkarte hatte, fort.

– Ist das ein Scheusal! – dem Käfigbesitzer blieb vor Staunen der Mund offen.

– Diese Juden und ihre Hexerei, dagegen muss man beten und die bösen Geister austreiben, – meinte jemand von hinten.

– Musst eine Kerze in Teleti* anzünden, – wusste noch jemand auch irgendwas.

– Kann man das nicht auch in Charpuchi*?

– Wozu Charpuchi? Das ist doch kein Schnupfen.

– Sowieso alles Lügen, isso! – mischt sich ein Tatar ein, der sein Kopfkissen mitgebracht hatte – ich trink nix, ich ess’ nix Schweinefleisch und hilft alles nix.

– Was für’n Hokuspokus. Hokuspokus!

Der mit der Kappe nahm eine Tabakdose heraus, darin war Schnupftabak, stopfte sich davon in die Nase, und dann schnaubte er alles auf ein Seidentuch, starrte es noch an, richtete dann aber den Blick auf seine Hose und sah, dass die Hühner aus dem Käfig ihm auf die Hose schissen, und das gefiel ihm nicht, und der Hühnerbesitzer gefiel ihm auch nicht, und da wurde er plötzlich wütend.

– Hast hier deine Umgebung verstunken, – und trat sogar gegen den Käfig, – warum haste nicht gleich noch’n Schwein mitgebracht!

Der Käfigträger wurde verlegen, und die anderen hörten auf zu reden. Sein zornig gewordener Nachbar, der gerade erst neben ihm Platz genommen hatte, brachte den Hühnerbetreuer aus der Fassung, aber er schlug stracks zurück.

– Denkst du, du stinkst vielleicht weniger? – dabei bekam er einen Schluckauf.

Das hatte der erst Apfel-, dann Birnen-, und dann Schnupftabakfreund ja nun ganz und gar nicht erwartet, und verwundert blickte er auf alle Anwesenden.

– Guckt euch mal dieses Miststück an, was der hier veranstaltet! – entfuhr es ihm.

– Unterschätzt du mich etwa? – bohrte der Käfigbesitzer nach.

– Halt dein’ Mund, sonst kriegste eins in die Fresse, – der vom Hühnermist Getroffene holte schon mit der Hand aus.

– Bin ich ein Hundsfott?! – drohte der Käfighalter.

Und die Frage stand im Raum, was daraus alles hätte werden können, wenn nicht plötzlich ein anderer Fahrgast ein Geschrei angestimmt hätte.

– Meine Hosentasche! Man hat meine Tasche aufgeschnitten! – und ein Mann in einem Gehrock aus Wolle sprang von seinem Platz auf.

– Welche Tasche?! – wurde man um ihn herum aufmerksam.

– Geklaut! Das Portemonnaie! Geklaut! – schrie er laut auf.

Das war eine merkwürdige Fortsetzung des Gesprächs, und alle drehten ihre Köpfe zu ihm hin.

– Niemand rührt sich weg von hier! – schrie der Bestohlene.

– Oh je, was ist denn los, zum Teufel!

– Los, die Taschen zeigen! – schrie er die Fahrgäste an.

– Ich hab’s nicht, nein, – sagte einer mit einem kaukasischen Hut und drehte seine Hosentaschen um.

– So nicht, Brusttaschen auch, die Jackentaschen!

– Ich saß doch ganz hinten im Wagen, wie hätte ich dir was klauen können, – krähte einer mit einem Beutel.

– Jemand anderes hat geklaut und es zu dir weitergereicht!

– Ja, ja, so geht’s auch, – bemerkte einer, offenbar mit Erfahrung.

– Du, zeig auch her! – er kannte keine Gnade.

– Aber Gott weiß es, dass ich’s nicht war! Ich war’s nicht, nein!

Alle drehten brav die Taschen um, und der Beklaute nahm sich sogar den Kondukteur vor.

– Du auch! Du musst mir auch deine Taschen zeigen! Was denkst du denn, was du bist?

– Der mit der Warze! Wo ist der mit der Warze? – rief plötzlich einer, und alle drehten die Köpfe um.

– Was? Was?!

– Er ist weg!

– War er nicht eben noch hier? – fragten die hinten.

– Oh du mein Gott, anhalten, anhalten! – rief der, dessen Portemonnaie fort war.

Und der Wagen hielt, und er sprang hinaus und rannte Hals über Kopf zurück.

– Na, den holst du nicht mehr ein. Was läuft der Idiot dem hinterher? – der mit der Kappe schaute ihm nach, und sein Zorn war schon verflogen.

– Er hat uns ganz schön reingelegt, mit seinem Feldmann und allem, – hörte man nun den Käfigträger.

– Dem muss man die Hände abhacken! – mischten sich weitere ein.

– Auch die Beine!

– Man kann ja keinem mehr trau’n!

– Gott nein, was hat der uns nicht vorgemacht mit seinem Deutschen Garten, – empörte sich nun der ganze Wagen.

– Hat auch die Fahrkarte nicht gekauft!

– Wir sind doch ruckzuck da, hat er gesagt.

– Also, Herrschafts nein! In welchen Zeiten leben wir …

– Ein Diebstahl, am helllichten Tag, hier die Tasche, dort das Pferd, – jammerte noch wer weiter.

– Oh! Oh weia! – schrie plötzlich der mit dem kaukasischen Hut, – dieser Hundesohn hat auch mein Portemonnaie mitgeh’n lassen, mein Portemonnaie auch!

– Deins auch?!

– Mein ganzes Geld!

Der mit der Kappe griff nun ebenfalls an seine Westentasche und schrie auf.

– Meine Uhr! Meine Uhr ist auch weg! – sprang er von seinem Sitz auf und dachte nicht mehr an den Hühnermist.

– In meinem Portemonnaie sind statt Geldscheinen nur noch Zettel! – rief nun ein anderer.

Und alle griffen nach ihren Taschen, und etliche fanden ihr Portemonnaie nicht mehr, einige vermissten die Uhr, andere die Schnupftabakdose.

– Oh, diese Missgeburt, was hat der uns über’s Ohr gehau’n, – stöhnte der mit der Kappe.

Und plötzlich rief der mit dem Beutel:

– Haben wir nicht dem Typ im Gehrock alle unsere Taschen gezeigt? – und sah die anderen an.

Da trat Stille ein.

– Oh ja, der, genau, diese Missgeburt hat alles mitgehen lassen! – rief der Birnen- oder Apfelfreund.

Erst jetzt ging allen ein Licht auf, und sie sahen auf einmal, wie das gelaufen war mit der List und dem Diebstahl.

An dem Gespräch im Wagen hatte sich nur ein Mann nicht beteiligt, und er war auch nicht bestohlen worden. Saß für sich und schwieg.

Sah sehr gepflegt aus, europäisch gekleidet und der Schnurrbart recht hübsch geschnitten. Das war Louis Albre, der hier war, um die Geheimnisse des alten Tiflis zu lüften.

Der Pferdestall in der Sanduferstraße

Albre in seinem gestreiften Schlafanzug war aufgestanden, hatte die Morgengymnastik nach der Regel von Francisco Amoros absolviert, Toilette gemacht, die Brotkrümel vom vorigen Tag auf das Karnies für die Tauben gestreut, die Blumen gegossen und drei viertel acht einen Korb mit dem Seil aus dem Fenster hinuntergelassen. In genau dieser Sekunde packte eine Weißgeschürzte aus Dufours Konditorei eine belgische Waffel, zwei Croissants und eine Kanne mit heißer Schokolade in den Korb. Seit vor 200 Jahren Maria Theresia heiße Schokolade als Mitgift nach Frankreich brachte, schafft es kein einziger Pariser mehr, morgens ohne sie den Tag anzugehen. Wie Rapunzel, so zog Albre all das herauf und packte aus. In diesem Moment klopfte es an die Tür, und ein Laufbursche brachte ein Päckchen. Albre packte auch das aus und fand einen viereckig geschnittenen Roquefort aus dem Feinkostladen von Nasarbekow darin. Vier Minuten vor acht klopfte es wiederum an der Tür, und diesmal bekam er ein französisches Brötchen aus Karolina Lotts Bäckerei. Es klopfte abermals, zwei Eclairs von der Konditorei Sofia Hähne, Michaelstraße. Dann stand noch jemand vor der Tür und klopfte, aber diesmal kamen weder Croque Madame noch Torteletts. An der Tür stand ein schnurrbärtiger Polizist, er hielt einen Zettel in der Hand. Albre musterte ihn kurz von oben bis unten, aber der Besuch verwunderte ihn nicht, und auch der Zettel nicht, den er mit einem Blick überflog.

Schon seit einigen Monaten wurde er hinzugezogen, wenn es darum ging, rätselhafte Fälle aus den Archiven der Kriminalpolizei zu lüften oder ganz aktuelle Geheimnisse aus den den Gassen der Stadt.

Trubel und Gedränge in den Straßen von Tiflis erinnerte ihn an die Romane von Eugène Sue. Geschichten von Stilett und Bauch, herausgequollenem Wanst, tief durchgestochenem Dolch, Albre durchforstete sie ständig nach Anhaltspunkten und Lösungen. Auch abgeschraubte Bolzen eines Safes und wertvolle, aber aus dem Rahmen geschnittenen Gemälde stießen auf sein Interesse. Obwohl man ja auch wissen musste, dass solcherart Gemälde in Tiflis kaum zu finden waren, und wenn, musste man einen solchen Rausschneider extra bestellen. Auch waren Geheimnisse wie die der „Rue Morgue“ eher selten, aber dafür gab es in Tiflis Unterschiede ohne Zahl in Aussehen und Herkunft der Figuren, wenn auch nicht so viel Schwarz wie in den französischen Kolonien. Hier waren Kleider und Sitten in ganz anderen Dimensionen versammelt. Und alles war ständig in Bewegung und die Vielfalt der Charaktere in dieser gar nicht so großen Stadt Tiflis doch beachtlich. Das mochte einer tatsächlichen Beobachtung der verschiedenartigen Raupen durch einen Entomologen auf der Insel Borneo im Vergleich zum Blick auf die im Notizbuch ähneln. Albre liebte Physiognomie, auf seinem Tisch lag zum Nachschlagen sogar ein Buch Lombrosos über die Psychologie und Pathologie von Verbrechern. In seiner Freizeit lief er mit einem Schmetterlingsfänger, den er sich extra von der archäographischen Gesellschaft hatte kommen lassen, in den Botanischen Garten und besuchte auch die Wintergärten dort, die ganz im Sinne des Direktors Heinrich Scharer* musterhaft gepflegt waren. Das war zwar nicht so ein Vergnügen wie in den Gärten von Versailles, aber wenn er in dem engen Tal umher schlenderte, vergaß er den Stadtlärm. In der Schänke dort trank er am Mittag seinen Tee und notierte auf den Rand der Serviette einen Reim, der ihm in den Kopf kam. Seinen Verkehr mit der Räuberwelt unterbrach er gern mit hübsch verfassten Versen, wie ein Franζois Villon, aber niemals ohne gestärkten Kragen. Auch hatte er früher, als er noch auf dem Montmartre unterwegs war, mit allerlei Farben gemalt, und ebendort dem verarmten Verlaine Geld in die Hand gedrückt und Marquis de Rambouillet zum Duell heraus gefordert. Eine Wunde am Arm war seinerzeit im Wald von Boullion das Resultat. Jedenfalls fanden sich unter seinen Vorfahren nicht umsonst ein Chevalier d’Artagnan, später von einem Romanschreiber als Streithahn dargestellt, und zudem noch Blaise de Monluc, der große Marschall von Frankreich. Wollte man weiter suchen, träfe man auch auf aquitanische Herzöge, und außerdem besaß seine Sippe ein Chateau in der Gascogne, und bevor die Stürme der Revolution und die Sensen der Räuber der neuen Jacquerie seinen Besitz verwüsteten und Fensterläden und Türen zertrümmerten, betrieb sein Stamm Müßiggang und Hirschjagd. Die Revolution nahm Albre zusammen mit dem Chateau das „d“ samt Apostroph ab und verwandelte ihn in einen gewöhnlichen Bürger. Aber die adlige Herkunft ließ sich nach so vielen Generationen nicht einfach durch einen Federstrich ausradieren. Er sah immer noch mit einem anderen Blick auf die Passanten. Glanz und Eleganz seiner Kleidung blickten weiter abschätzig auf die Gehröcke nach dem letzten Schrei und auf die dicken Goldketten der Händler en gros. Er beschnitt seinen Schnurrbart mit einer Schere aus Silber, und sein Zahnstocher war aus Elfenbein. Mit diesem Elfenbein hatte schon sein Großvater die im Zahnloch hängengebliebenen schwarzen Trüffel herausgestochert.

Albre warf die Frühstücksreste mit der Tischdecke in den Korb und ließ ihn wie immer hinunter am selben Seil. Das war gleichzeitig Gymnastik und tägliches Handmuskeltraining. Dann nippte er an einem Glas Calvados aus der Normandie, zog die Handschuhe an, nahm den Gehstock und schlug die Tür hinter sich zu. Beim Weg hinunter begleitete ihn das Knarren der Stufen und die Wandbemalung im Treppenhaus, ein Agamemnonschild, auch der Hellenen edle Einfalt und stille Größe … Der Gruß, eingelassen auf der Straße unten vor der Tür, war auf Armenisch verfasst. Er stand in der Weliaminowstraße, nahm aber keine Kutsche, sondern ging zu Fuß, mitten durch das Marktviertel, entlang einer Reihe kleiner Ziegelsteinbauten, entlang der heraus gestellten Waren und inmitten der Rufe aus den Läden und Garküchen. Dann schob er sich durch noch mehr enge Reihen hindurch, und durch einen düsteren Hohlweg gelangte er auf den Tatarplatz. Dort herrschte ein ganz anderer Ton. Keine belgische Waffel mehr, auch kein Croissant mit Butter aus der Provence. Die Butter kam hier aus Lambalu, der Käse aus Schchloi, der Reis aus Kcharaias, aus Schoragal war das Mehl geliefert worden, aus Korsman Salz, aus Jalaloglu Kartoffeln, aus Agdash kamen die Wassermelonen, es klang hier wahrlich anders als zwischen den feinen Regalen von Karolina Lott und Eliza Mader. Von hier war auch die auf dem Zettel erwähnte Sanduferstraße nicht mehr weit. Überquere irgendeine der Brücken, und dann biege ab zu den Karawansereien! Aber der Franzose bog nicht ab, eine Weile stand er dort, lauschte den Gesprächen der Händler und kehrte dann zum Markt zurück. Dort sprang er in die Pferdebahn und nahm Platz, die Beine brachte er in die dritte Tanzposition, und die Hände stützte er auf den Griff seines Stocks. Und er lauschte auch dem Gespräch in der Bahn und fügte das vom Markt im Gedächtnis Behaltene hinzu. So erhielt er ein Bild, die Sachlage formte sich langsam klar vor seinen Augen. Nur, was Chripli zu berichten hätte, fehlte noch, um das Bild zu vervollständigen.

Bei dem Pferdestall von Alichanow stieg er aus und schritt durch das Bogentor. Es war ein Gebäude in europäischer Architektur, vielleicht sogar von Bielfeld, der Pferdestall befand sich im Innenhof.

In der Mitte des Hofs sah er den Polizeibeamten Chripli mit seinem Backenbart und der Kokarde auf der Mütze. Der zeichnete mit der Schuhspitze dies und das auf den Boden. Es mochten die Südgrenzen des russischen Imperiums sein, und in diesem Bereich hatte er mit dem Fuß auch Erserum platziert. Jetzt wischte er die Grenze wieder aus und verschob sie weiter und weiter nach unten, und wäre nicht dieser Franzose gekommen, wäre er so noch bis Konstantinopel gezogen.

– Sie haben ja nun nicht das beste Wetter ausgesucht, wie? – hörte er, als ginge in Sololaki* eine andere Sonne auf.

– Da sind Sie ja! – damit wischte Chripli seinen ganzen Eroberungszug aus.

– Der Kondukteur hat mir übrigens nicht herausgegeben.

– Na, gehen wir und schauen uns den Pferdestall an, – zwirbelte der Polizist seinen Backenbart.

– Dann wollen wir mal sehen, ob Sie nicht auch dort alles weggewischt haben, wie Erserum eben, – folgte ihm der Franzose und ließ seinen Stock hin und her schwingen.